Monatsgedanke Juni 2023 – «Unfall und Zufall»

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Der Zufall ist ein Thema, das uns Menschen seit jeher begleitet. Die Meinungen sind kontrovers. Friedrich der Grosse hält fest: «Glück und Zufall sind zwei sinnlose Wörter.» Nietzsche schwärmte hingegen für den Zufall: «Über allen Dingen steht der Himmel Zufall.» Und wir? Warum tun wir uns so schwer mit dem Zufall? Weil er uns das Gefühl gibt, dass wir ihm ausgeliefert sind. In einer Welt, wo wir alles unter Kontrolle haben wollen, bringen wir den Zufall mit Kontrollverlust in Verbindung. Das bereitet uns Mühe.
Ein Unfall. Mehr als nur Sachschaden. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde nimmt das Schicksal für einen Menschen eine andere, definitive Wende: Der Körper ist geschädigt, behindert. Als Aussenstehende und trotzdem immer wieder Mitbetroffene sucht man nach Erklärungen, ringt nach Antworten. Wo finden wir die «passenden» Worte? Für mich gibt es hier immer wieder ein Fragewort. Es heisst «Gott». Hat Gott etwas mit dem zu tun, was passiert, wenn Menschen nach einem schrecklichen Erdbeben um Angehörige trauern, vielleicht selber Hab und Gut verloren haben? Was für ein Despot, der geschenktes – nicht selten kurzes – Leben durch einen Unglücksfall abbricht! Was für ein Weltdespot, der einmal freundlich, dann wieder furchtbar mit unserem Schicksal spielt! Auf diese Vorstellung vermag ich mich nicht einzulassen. Wer könnte von dieser Lebenshaltung aus noch Vertrauen in die Schöpfung – Menschen und Mitwelt – haben? Dennoch will ich mich darauf einstellen, dass es eine Schöpferkraft gibt, die wir Gott nennen. Eine Kraft, die uns hilft, mit dem Unerklärlichen und Schicksalshaften umzugehen, damit wir es, möglicherweise nach sehr langer Zeit, verkraften.

Kein Tod kommt als direkter Befehl von Gott. Gott greift nicht realitätsverändernd in das Weltgeschehen ein. Der einzige Weg, den sich Gott erwählt hat, um uns in unserem Leben beizustehen, kommt ganz von innen her. Er bietet sich in jedem von uns an als Geisteskraft, als Mut zum Leben, als Quelle der Liebe, die über der Trauer und der Unruhe steht. Er will uns helfen, in unserem Inneren das Schicksal auszuhalten, mitzutragen und die Welt mit Liebe zu erfüllen. Jedes Leid widerspricht dem tiefsten Wesen und der Absicht Gottes. Von innen her, über unser Herz, greift er ein in das Leben. Von aussen her, auch wenn sich das manch einer wünschen mag, tut er das nicht. So wie er ebenfalls kein Gewitter verhindert oder schickt, weder mit Erd- noch mit Seebeben etwas zu tun hat, so kommt er auch keinem Herzinfarkt zuvor oder dem sinnlosen Tod eines Unfallopfers. Aber es ist – hoffentlich – immer wieder seine Liebe, die dank Mitmenschlichkeit, Solidarität und der Bereitschaft zum Spenden den unmittelbar Betroffenen hilft, Rück- und Tiefschläge im Leben zu überwinden. So wie es beispielsweise in unserem Land immer wieder auf eindrückliche Art und Weise durch die Verbundenheit mit den Leidenden geschieht, wenn irgendwo in der Welt oder bei uns Menschen Opfer von Naturkatastrophen werden.

Pfr. Stephan Bieri, Pfarramt Wengi b.B.